Jules de Bruycker
von Frank van den Wijngaert (1934)
(Aus dem Französischem von Christel Schmidt)
Unter den der Bewunderung würdigen Künstlern sind jene selten, die ebenso schwierige
Anfänge kennen, wie
Jules de Bruycker.
Die sich spät entwickelnde Blütezeit, vielleicht gegensätzliche Gründe zuzuschreiben,
verhüllt sich ohne
Zweifel teilweise. In dessen ist es wahrscheinlich, daß es an erster Stelle materielle
Zufälligkeiten waren, die
sich der Entwicklung dieses schönen Talents so lange in den Weg stellten.
Geboren am 29. März 1870, war es ihm vor seinem dreißigsten Lebensjahr nicht erlaubt,
einen Hafen anzulau-
fen.
Sein erstes Künstleratelier!
Welch Glücksfall für einen Handwerker. Es ist wahr, daß es nicht mehr war als eine
armselige Behausung in
einem armen Viertel, aber sicherten ihm diese kahlen Mauern nicht einige Stunden
unverzichtbarer Ruhe zum
Nachdenken und zum Arbeiten?
De Bruycker zögerte nicht - er sah weit. Er wagte sich heran an Leinwand und Ölmalerei -
und scheiterte. In
der Aquarellmalerei sind die Resultate kaum befriedigender. Hat er seine Möglichkeiten
überschätzt? Hat er
seine besten Jahre zur Verwirklichung einer undankbaren Sache vergeudet? Aber warum sich
entmutigen las-
sen, solange die Bleistiftzeichnung gelingt, in einer immer mehr charakteristischen Linie,
die typischen Muster
der menschlichen Tierwelt zu destillieren?
Später, nachdem er eine Unterkunft in einem anderen Viertel gefunden hatte, versuchte er
erneut sein Glück in
der Aquarellmalerei. Dieses Mal sind die Ergebnisse ermutigender, denn er gab seine erste
Technik auf, in der
Farbe den Forderungen der Zeichnung nachzugeben.
Ohne jeden Zweifel ist dieser Künstler kein Maler im eigentlichen Sinn des Wortes.
Es ist ein Mann des Schwarz und Weiß, aber die Zeichnung genügt ihm nicht.
Er fühlt das Bedürfnis, sich
durch eine graphische Methode auszudrücken. - Aber durch welche?
Eine Radierung von Beartseon, zufällig erblickt im Museum in seiner Geburtsstadt, bringt
die Lösung. Aber
warum ausgerechnet diese und keine andere? Er muß von Ihnen noch weitere gesehen haben im
Laufe seines
Lebens. Warum eine Seite dieses Künstlers so wenig gehaltvoll, wenn gleich charmant, eher
als ein Meister wie
Rembrandt oder, näher an uns, als Felicien Rops?
Man muß zugeben, daß, ohne sich dessen bewußt zu werden, irgend etwas, das nur den
Punkt des seelischen
Kontaktes erwartet, um sich zu festigen, de Bruycker hat reifen lassen.
Durch die Technik und den Geist schließen sich diese ersten Radierungen den unzähligen
Kreidezeichnungen
dieser Periode, die heute in alle Winde verbreitet sind, an.
De Bruycker kümmert sich dort um den Menschen. Aber dieser Mensch bereitet ihm keine
Probleme, er er-
weckt weder Scheu noch Liebe, noch Mitleid. - Er ist, was er ist: Ein Wesen, lächerlich
genug, aller Erinne-
rungen des klassischen Ideals entblößt zu sein.
Dennoch ist diese Kunst weder beißend noch bewußt aggressiv. Er ironisiert den
menschlichen Typ mehr als
daß er ihn verspottet. Er strebt nicht danach, sie zu bagatellisieren, sondern stellt sie
exakt auf ihr Niveau, ohne
jegliche Beschönigung.
Über viele Jahre wird die Kunst des Jules de Bruycker geleitet sein von der Suche nach
dem, was am Rande des
Menschen ist.
In dieser Epoche bilden der Markt, der Wartesaal und das Paradies des Theaters sein
bevorzugtes Jagdgebiet.
Auch eine Gravur wie La Ruelle (Die Gasse) von 1906 überrascht mit ihrer
drohenden Architektur, Synthese
eines armen und abstoßenden Viertels, während eine wesentliche Seite wie Le Rolweg
a Bruges (Der Rolweg
zu Brügge) von 1907 ihn in die gesellschaftliche Kritik gebracht hätte, wenn diese
Kritik nicht Schicksal des
Trios der Karikaturmaler geworden wäre, für die Schmutz und Elend nicht mehr zu sein
scheinen als die Ma-
terie der Inspiration und des Malerischen des schlechten Geschmacks.
Von 1908 bis 1911: gänzlicher Halt in der Produktion von Radierungen bei de Bruycker, was
nicht in Erstau-
nen versetzen läßt angesichts des Beginnes voller Versprechen. Aber wer erklärt die
vielen Faktoren, die,
manchmal ohne sein Wissen, die Entwicklung eines Künstlers lenken?
Es ist die Epoche der Aquarelle und Gouachen, die ganz besonders im Werk dieses Zeichners
und Graveurs
von keiner anderen Bedeutung sind, als daß sie vom technischen Standpunkt aus einem
gewissen Einfluß auf
die Radierungen des Jahres 1911 ausüben.
Der gegebene Ort für die Aquatinta, die den Ton der Farbe imitiert, in einer Gravur wie
die des Le Marche
Saint-Jaques (Der Markt des Heiligen Jaques) ist davon ein überzeugender Beweis.
Was hierbei, wie auch bei anderen Werken der gleichen Epoche, beeindruckt, ist das
Aussehen der Personen,
die in ihrer Gesamtheit charakteristische Elemente geworden sind als die autonomen
Schöpfungen. Folglich
findet der Künstler den passenden Rhythmus für alle Elemente der Komposition und zeigt
zur selben Zeit mehr
Objektivität gegenüber der menschlichen Existenz. Persönlich scheint ihn diese Existenz
nicht mehr zu inter-
essieren, ohne Zweifel, weil er sich bewußt geworden ist über die relative Wichtigkeit
aller Dinge in der kosmi-
schen Realität ...
Einzige gleichwertige Vorstellungen vielleicht auf Basis des Meisterstückes wie La
Maison de Jean Palfijn
(Das Haus des Jean Palfijn) von 1912, Autour du Château des Comtes (Um das
Schloß des Comtes) von 1913
und vor allem Le Montagne du Dragon sur le Beffroi (Der Aufstieg des Drachen
auf den Belfried) von 1914:
Drei betörende Visionen, wo der Mensch oder sogar die Menschheit keine andere Bedeutung
mehr hat als eine
von Panik ergriffener Ameisenhaufen angesichts dem drohenden Nahen der unabwendbaren
Katastrophe.
Wir werfen diesen Gravuren vielleicht eine spätreife und leidenschaftliche Romantik vor.
Vielleicht gibt, aus
graphischer Sicht, ihr bildmäßiger Aspekt Anlaß zur Kritik.
Es bleibt davon im Werk von Jules de Bruycker nicht weniger wahr als man privat davon sein
möchte. Über-
dies nehmen sie im Licht der folgenden Ergebnisse einen prophetischen Akzent ein.
Der erste Weltkrieg bricht im Verlauf jenes Jahres aus, das Le Montage du
Dragon (Der Aufstieg des Dra-
chen) erscheinen sieht.
Der Künstler emigriert nach England, wo er eine Serie von Gravuren bezüglich des Krieges
herstellt. Diese
Gravuren können betrachtet werden als Ergebnis einer spirituellen Neuorientierung, von
denen die drei hier
unten aufgeführten Werke die Etappen darstellen. Sie haben das Ansehen Jules de Bruycker
bei einer breiten
Öffentlichkeit hergestellt.
Er gesteht zu, hier einige Augenblicke innezuhalten.
Das erste der Serie La morte en Flandre (Der Tod in Flandern) von 1916, in der
unheimlichen Brügger
Landschaft und im Symbolismus der selben Ader, ist ein beeindruckendes Bild, das man
sobald nicht vergißt.
Es schuldet seine Größe der aufreizenden Kürze sowie der tadellosen Ausgewogenheit
seiner plastischen Kom-
ponente.
In anderen Werken hingegen ist eine übertriebene Bedeutsamkeit zur symbolischen Dialektik
gewährt, und das
in einem solchen Grade, daß diese Kunst nicht mehr weiter kann in der einfachen und
beinahe propagandisti-
schen Allegorie.
La moisson (Die Ernte) befindet sich noch unter dem Zeichen des La morte
en Flandern, aber in Visions
de guerre (Visionen des Krieges) und Danse macabre verliert sich die
plastische Beherrschung zu Gunsten
des Themas.
Einen solchen Vorwurf erreicht sicherlich keine Gravur so wie La tranchée
(Der Graben), aber wieviel mehr
stechender war der Eindruck als der Tod, in traditioneller Form von Camarde und mehr
kleidsam in entschlos-
sener militärischer Uniform, fand man sich nicht alleine wieder hinter der Brüstung -
überlebend?
Genauso La mouvais nouvelle (Die schlechte Nachricht) enttäuscht überhaupt
nicht in plastischer Hinsicht,
aber diese makabere Figur mit seinem von Jerome Bosch übernommenen Gefolge von Ungeheuern
teilt sich
nicht diese Atmosphäre des Entsetzens, die La mort en Flandre
charakterisiert. Die gleiche Feststellung
drängt sich auf für Le Fléau (Die Geißel), ausgeführt im Verlauf
desselben Jahres (1917).
Während dieser Periode gestaltet de Bruycker noch beträchtliche Gewinne, dank seiner
Ansicht London im
Regen. Der spitzfindige Whistler schien währenddessen in dem Fall ein Modell von
Qualität gewesen zu sein.
Im Jahre 1919 kehrt der Künstler in sein Land zurück. Der Krieg ist beendet und das
Leben zeigt sich wohlwol-
lend. Er wiederentdeckt seine Stadt: ihre Straßen, ihre öffentlichen Plätze, ihre alten
Kirchen und von den
Unbilden des Wetters zerfressenen Häuser, die Uferböschungen, die die Cys und die Escout
säumen, die ihm so
lange Zeit fehlten.
Er sieht jetzt mit einem anderen Auge. Die tragische Note scheint der Vergangenheit
anzugehören; vergessen
die dramatischen Zusammenstöße von Licht und Schatten, die eine bildmäßige Atmosphäre
schufen, aber die
aus graphischer Sicht schwierig zu rechtfertigen sind.
Im Verlauf dieser Jahre variiert de Bruycker die Themen mit einer fast irreführenden
Leichtigkeit. Vergessen
wir nicht, daß von 1929 ebenfalls seine Cathédrale d Anvers stammt,
die erste einer Serie gleichartiger
Gravuren. Es war sicherlich nicht das erste Mal, daß Kathedralen seine Aufmerksamkeit
gewannen, es war
auch nicht das erste Mal, daß diese von Anvers sein Interesse hervorrief. Aber all das
war nur vorbereitende
Übung, als wenn der im Laufe der Jahre um steinerne Gedichte gesponnene Traum sich mit
einem Mal in einer
mächtigen Flut befreite und sich in endgültigen Werken kristallisierte.
In La cathédrale d Anvers (Die Kathedrale von Antwerpen) wurde nicht
ein einziges Mittel, das die Rein-
heit der Konstruktion verstärkt, vernachlässigt. Die schweren, kräftig gebauten Häuser
an jeder Seite der Ra-
dierung bieten das Wunder in seiner Tiefe, wie erhellt von einer inneren
Klarheit, nahezu immateriell, aber
dennoch von einer überwältigenden Monumentalität. Im Vordergrund tummelt sich eine
Menschenmasse im
Ton der Musik und in der Entfaltung der Flaggen. Daß sie im Freudentaumel oder in einem
Zustand der Auf-
ruhr sind, ist von sekundärer Bedeutung. Vom psychologischen Standpunkt aus spielt sie
die gleiche Rolle, wie
die Häuserblocks rechts und links. Plastisch hebt sie sich überdies hervor und
akzeptiert durch ihr Wimmeln
die grandiose Unwandelbarkeit der Kathedrale.
La cathédrale de Rouen (Die Kathedrale von Rouen) ist nicht gleichermaßen
beeindruckend. Indessen ist
dort die Gestaltung in ihrer Tiefe der vorhergehenden Seite (Seite 9) ähnlich. Aber
diesmal hat der Künstler
einen weiter vom Gebäude entfernten Standpunkt gewählt, das sich auf einen begrenzten
Grund abzeichnet,
wie eine helle Spitze. Diese Gestaltung wurde vielleicht beeinflußt durch den
stilistischen Unterschied der zwei
Monumente: das eine von sehr männlicher Robustheit, durch die Macht seiner sich mit Kraft
erhebenden Stre-
bepfeiler, das andere von weiblicher Empfindlichkeit, herrührend von dem für die späte
Gotik bezeichnenden
Einschnitt der architektonischen Gesamtheit. Die menschlichen Figuren konnten hier nicht
die Rolle des akti-
ven Kontrapunktes spielen. Auch wird sie nur als dekorativer Zusatz gebraucht.
In Brouges (Brügge) von 1931 ist der bühnenwirksame Charme zerbrochen und
die Kathedrale erscheint vor
dem Betrachter als eine derart unbehauener Fels.
Ebenfalls frontal, genauso direkt, aber von weniger beunruhigender Strenge ist das
Zurückdenken an die Fas-
sade von Amies (Amie) von 1932. Es gibt dort, mehr Gedankenflüge in diesen
Gabeln und Zinnen. Aber der
Mensch ist in Anwesenheit dieser Würde nichts als Rauch ...
Im Verlauf des selben Jahres (1932) erscheint auch das Album Sites et Visions de
Gand (Orte und Visionen
in Gent), in dem der Autor die typischen Aspekte seiner Geburtsstadt vereinigt. Obgleich
interessant, fügt diese
Sammlung dem wirklichen Wert seines Werkes keine großen Dinge hinzu. Seit diesem Moment
wird er über-
dies keine Zuflucht mehr finden, in den Radierungen als sporadisch und vorzugsweise auf
kleinen Formaten.
Seine Gesundheit verschlechtert sich und die Arbeit des Radierens mit Hilfe von
schädlichen Mitteln könnte
für ihn fatal werden. Aber ihm bleibt immer noch der Bleistift und das Papier, das
unzähmbare Leben und
seine intakte kreative Stärke.
Das ist die Periode der bemerkenswerten Zeichnungen wie Le joueur d` Orgue von
1933 und L artiste et
son modèle (Der Künstler und sein Model) von 1935, wo er, sozusagen auf die Bauart
der Kathedralen einge-
hend, zur linearen Disziplin der Jahre 1921-1925 zurückkehrt.
Im Jahre 1938 erscheint das Album L église Saint-Nicolas a Gand (Die
Kirche Saint-Nicolas in Gent): zehn
Radierungen und zwanzig als Faksimile reproduzierten Zeichnungen. Nicht mehr als die
Sites et visions de
Gand zogen die Gravuren dieses Ensembles die partielle Aufmerksamkeit auf sich. Es
ist sogar zu bedauern,
daß sie mit ebenso meisterhaften Zeichnungen vereint gewesen sind.
Alleine die sehr großen waren tauglich durch eine ähnlich hochgradige Konzentration,
eine vergleichbare
Knappheit in der Tiefe und im Ausdruck, einer solchen Erhabenheit des Werkstoffes. Als
wäre die Maske der
Dinge aufgerissen und wir enthüllten ihr intimes und verstecktes Wesen, ein Gebet zum
Beispiel; obwohl sehr
düster gezeichnet nach der Natur ist es kein unbelebtes Objekt mehr; es hat
einen Charakter und ein einsa-
mes oder ein gesellschaftliches Wesen und erfreut sich einer `Menschenmenge ´ von
ähnlicher Mentalität, wie
es.
Die Heiligen, hochstehend auf ihren Sockeln gelehnt, sind keine versteinerten Formen; sie
heben den Kopf in
einer verwunderten Art beim leisesten ungewohnten Geräusch, und die Cherubine aus Marmor
gleitet durch
das Kirchenschiff wie im Flug der Tauben. Nichts um zu erstaunen, während ein barocker
Altar sich entflammt
und sanfte Wärme in einer verödeten Atmosphäre verbreitet.
Ein derartiger Zauberer kann nicht abgelehnt worden sein sich auf den Gipfel der
Kathedrale emporzuheben,
wie auf das Dach der Welt, um dort die Menschen und die Dinge in ihren wahren
Proportionen zu betrachten.
Diese Zeichnung ist damit eine der bemerkenswertesten der ganzen Serie.
Zermürbt durch eine Krankheit ohne Gnade, die ihn langsam zerfrißt, ist der Künstler
deswegen bald auf seine
eigene kleine Welt beschränkt. Er entdeckt seine bemerkenswerten Hände, die ihm
erlauben, soviel zu sagen,
um sich zu befreien. Ohne jemals zu ermüden brachte er sie in all den Positionen, in all
den Haltungen, als
wären sie unabhängige Wesen.
Ein anderes Mal sitzt er, in Gedanken versunken, an seinem Arbeitstisch und erwartet fast
in religiöser Art den
Augenblick des Schöpfers. Dieses Bild und andere genauso gut, wie zum
Beispiel die Nu couché
(Schlafende Nackte) von 1943, zeigen ausgezeichnet, daß dieser so schrecklich
leidgeprüfter Mann nicht auf-
hörte, über die Materie zu triumphieren.
Aber draußen geht das Leben weiter und sein Ruf ist teilweise überhalb seiner Kräfte.
Glücklicherweise gibt es
Autos, um den rebellierenden Körper an die Plätze zu bringen, wo, das Auge lebendig und
den Bleistift bereit
gehalten zum Zeichnen, der Künstler sich aufzuhalten liebt. Er hat eine ausgeprägte
Vorliebe für die Terrassen
der gut besuchten Cafés. Dort findet er eine verschiedenartige und ständig wechselnder
Menge, von denen er,
hinter seiner Zeitung geduckt, seinem Skizzenbuch diejenigen seinem Interesse am
würdigsten erscheinende
Freiexemplare anvertraut. Und jedes Mal kehrt er zurück beladen mit einer reichen Beute.
Im Jahre 1942 sor-
tiert er diese Blätter und graviert von diesen zweiundzwanzig. Sie wurden veröffentlicht
unter dem Titel Gens
de chez nous (Menschen bei uns). Kupferstiche vom unterschiedlichen Wert, sie
gleichen graphisch gesehen
nicht, gelangten zur Reife. Man erkennt in ihnen gerne die Skizzen des Zeichners. Jedoch
als psychologische
Dokumente erschienen sie interessant. Also schließt sich der Kreis in einer Atmosphäre,
die de Bruycker sehr
teuer gewesen sein muß. Denn bald lehnte ihn dieses letzte Stechen mit dem Leben ab. Die
Krankheit, die ihn
seit Jahren übermannte, kannte kein Mitleid mehr. Am Mittwoch, den 5. September 1945,
dennoch unerwartet,
kam das Ende. Eine schöne Seele und ein großartiger Künstler sind nicht mehr.
Jules de Bruycker ist der wichtigste Graveur seiner Generation. Unter seinen Zeitgenossen
war niemand so
begabt wie er, um mit den reduzierten und dennoch außerordentlich variablen Mitteln, wie
dem Schwarz und
dem Weiß, eine Welt von unvergänglicher Schönheit zu erwecken. Er war kein Maler; er
nahm es an in aller
Offenheit und zog daraus seine Schlüsse, die sich durchsetzten. Seine Aquarelle und
Guaschen sind in ihrer
Gesamtheit nichts anderes als kolorierte Zeichnungen, Momente der Unterbrechung in seiner
graphischen
Produktion, für die sie die unleugbaren Hinweise tragen.
Wer die Vorgänger von Jules de Bruycker finden will, grenzt, wegen der Anfangswerke,
vielleicht, aber ohne
große Überzeugung, an Gavarni, Daumier oder sogar Dorè.
Während seiner période anglaise (Englische Periode) haben wir ihn bei
Whistler sich aufhalten sehen; in
bestimmten Zeichnungen und Gravuren des Krieges war die mittelalterliche Vision von Bosch
und dem jungen
Breughel zu markant. Aber genauso wie dieses letzte mit für seine Zeit Charakteristischen
Mitteln, gelingt es
ihm, sich von seinem großen Vorgänger zu befreien; in gleicher Weise, Jahrhunderte
später, entschlüpft de
Bruycker selbst der faszinierenden Figur des Bosch, dank der Psychologie einer Epoche, in
der es für apoka-
lyptische Einbildungen keinen Platz mehr gibt.
Jedoch in dem sich bewegenden Bereich, humanistisch und kritisch und dennoch beliebt und
traditionell, von
Pierre Brueghel in der Zeit seiner Reifung, mußte er sich eng zugehörend fühlen. Zeugen
seiner Vorliebe für
den spezifischen menschlichen Typus, für die volkstümlichen Merkmale und anekdotischen
Rezitate, für die
Volksversammlungen und das Geleit, für die Linie und die präzise Methode.
Hat er nicht überdies wie der große Brabancon die Welt als Licht der Sept péché
capitaux (Sieben Men-
schenfischer) betrachtet, und dies mit einem Lächeln, das zur Weisheit und zur
Unverwundbarkeit führte?